Ab dem 9.2. 2006 wird zurückgeschossen. Eye for an Eye! Das Feuer des Ost-West-Konflikts 2.0 bekommt frischen Zunder! Tagline jagt Tagline.
Nachdem die Mohammed-Karikaturen uns eindeutig zeigen, wie gereizt wir uns begegnen, wie scheinbar klein die Anlässe sein müssen (und ich betone scheinbar, denn ich stecke nicht in der Haut eines gläubigen Muslim), um auf beiden Seiten Leute zu finden, die sich hin ihren
Clash-of-Civilizations-Prophezeiungen bestätigt fühlen oder ihre machtpolitischen Ziele vorantreiben, schlägt nun die "andere" Seite zurück.
Ein türkischer Action-Streifen stellt gerade die Box-Office-Rekorde des privilegierten EU-Partners ein. Das Rache-Epos, das innerhalb der ersten Tage nach dem Kinostart allein in Deutschland über 135.000 Zuschauer gefunden hat, weist den Authentizität suggerierenden Zusatz "Based on a true story" auf. Das kann heißen: "Alles, was hier gezeigt wird, hat sich genauso abgespielt." Meistens jedoch bedeutet es: "Alles, was hier gezeigt wird, ist so oder ähnlich passiert, wurde allerdings aus dramaturgischen Gründen mit fiktiven Elementen versehen."
"Kurtlar vadisi - Irak" (auf deutsch "Das Tal der Wölfe") ist dementsprechend recht problematisch. Die Geschichte handelt von einem Vergeltungsschlag türkischer Sondereinsatzkräfte gegen im Nord-Irak stationierte amerikanische Soldaten. Das ist meiner Meinung nach noch nicht sonderlich problematisch und eine willkommene Abwechslung, den Amerikaner mal in der Rolle des "Villain", des Bösewichts zu sehen. Zumal das Motiv für den fiktiven Racheanschlag einer
wahren Begebenheit zugrundeliegt. So drangen am 4. Juli 2003, zu Beginn des amerikanischen Feldzugs gegen Saddam Hussein, amerkanische Truppen in einen Stützpunkt des türkischen Militärs in der kurdischen Stadt Suleymania ein und verhafteten die dort anwesenden drei Offiziere und acht Unteroffiziere. Das harte Vorgehen der Amerikaner, die den festgesetzten türkischen Kräften Handschellen anlegten und Säcke über den Kopf stülpten, verursachte eine schwere diplomatische Krise zwischen den beiden beteiligten Staaten.
Hier haben wir nun also einen Ausgangspunkt, der die Gemüter in der Türkei stark erregte, auch weil das amerikanische Militär den Einsatz mit der Behauptung rechtfertigte, die dort anwesenden türkischen Militärs hätten einen Anschlag auf den in kurdischen Gouverneur in Kirkuk geplant und das Abführen mit über den Kopf gestülpten Säcken eine krasse Ehrverletzung bedeutet. Leider beschäftigt sich der Film nicht wirklich mit diesen Ereignissen, bzw. vermeidet tunlichst, eine differenzierte Sichtweise des Vorfalls darzustellen. Stattdessen ist er eine Celluloid gewordene Rachephantasie, so wie sich drangsalierte Kinder vorstellen, den Schulhofbully nach Strich und Faden zu demütigen.
Der Bully ist in diesem Fall der Amerikaner, der in schillerndem Schwarz als menschenverachtender Schlächter dargestellt wird, personifiziert durch Sam (natürlich, wie sollte er sonst heißen), den Kommandeur der amerikanischen Truppen. Sam lässt Zivilisten auf einer irakischen Hochzeit erschießen, stellt Abu-Ghraib-Pyramiden auf und vereinigt alle Schandtaten, die die Besatzungstruppen des Westens im Irak begangen haben, in einer Uniform. Zur Seite steht ihm dabei ein jüdischer Arzt, der in der Manier eines Mengele seinen "Patienten" die Organe entfernt, um sie anschließend nach London oder Tel Aviv zu verkaufen.
Sam ist neben seiner Funktion als Oberbefehlshaber auch fanatischer Christ mir hohem Missionierungsdrang, der seinen ans Kreuz genagelten Heiland um die nötige spirituelle Energie bittet, die zur Abschlachtung ungläubiger Muslims notwendig scheint. Soviel zu den Bemühungen, ein Feindbild zu erschaffen, das der filmischen Logik folgend den Tod mehr als verdient.
All diese Infos habe ich mir aus dem
Spiegel-Online-Artikel und
Rezensionen auf IMDB zusammengeklaubt, und so muss ich mich noch mit eigenen Augen von der Wirkung des Films überzeugen. Nicht, das es keine amerikanischen und europäischen Zerrbilder des Irakkriegs geben würde (die gibt es sogar zuhauf, und wir sind ihnen auch ausgeliefert...obwohl wir von der nüchternen Objektivität unserer Medienlandschaft ausgehen). "Kurtlar vadisi - Irak" ist aber nun die türkische Version dieses Konflikts, vermischt mit nationalistischem Revanchismus, gespickt mit in der Türkei populären Darstellern der gleichnamigen Mafia-Serie.
Erschreckend sind einige User Comments bei IMDB, die sich auf die Authentizität der Geschehnisse berufen. Der Film provoziert auch so eine Denke, denn mit dem Siegel "Abbildung der Realität" wird nicht nur die Montage dieser Ereignisse in einer fiktionalisierten Reihenfolge belegt, sondern auch die Motive der amerikanischen Antagonisten (frei nach Bush's-Kreuzzugs-Motto) sowie der dubiose Organhandel der amerikanischen Armee.
(Zitat IMDB: "*Stealing organs subject. I cant say its true or not. But its very well known the scenarist of the T.V episode Valley of Wolves was connected with many Journalist (its sure) and some says different connections. After all we see what happened in Iraq, organ stealing can be too, why not.")
Ihr seht, was ich meine? Fiese Falle!
Mit 10 Mio. USD ist "Kurtlar vadisi - Irak" die bisher teuerste türkische Produktion, und die Darstellung ist natürlich ein interessantes Fragment der türkischen Sichtweise der Geschehnisse. Aber bei allem Verständnis für den Drang, dem amerikanischen Einfall in den Irak mit filmischen Mitteln kritisch zu hinterfragen (und das ist jetzt mal nett ausgedrückt), stellt sich mir die Frage, warum der Film zu solch krassen Mitteln greift, um ein Puplikum zu erreichen? Denn einen Einblick in die "wahren" Geschehnisse verschafft er wohl kaum. Gewisse Vorurteile bedient er offenkundig, und wenn die Darstellung der Wahrheit sein Anspruch sein soll, so scheitert er schon allein in der Wahl des Bumm-Bumm-Genres, letztlich aber an der unglaublichen Vermengung von Daten, Fakten, Vermutungen und Ressentiments! So ist der Film nicht nur inhaltlich ein Rachestück, sondern auch medial. Die Amis haben viel Bullshit produziert und verbreitet (siehe auch
Midnight Express [1978]), der Westen experimentiert mit der Darstellbarkeit des Propheten Mohammed, dann steht es einem türkischen Produktionsteam ebenso frei, politisch entsetzlich unkorrekte Filme zu drehen.
So wurde der Regisseur Akar von Spiegel-Online folgendermaßen zitiert: "Warum darf es denn keinen antiamerikanischen Film geben?" Tja, gute Frage! Vielleicht aus dem selben Grund, warum es keine anti-türkischen Filme geben sollte. Was erreicht man denn damit (ausser volle Kassen)? Trägt es dazu bei, Konflikte beizulegen? Wohl kaum. Es schürt und schafft nur Vorurteile. Unterhalten kann man sich wohl auf besserem Niveau, auch ohne auf Hollywood zurückzugreifen. Begibt man sich jedoch auf das beleidigende Niveau des Films, ist der eigene Groll über den Karikaturstreit schwer zu rechtfertigen. Ob der Film trotzdem als Action-Flick taugt, werde ich in der nächsten Zeit herausfinden.